[…] Gut wirtschaften heißt: Der Mensch steht im Mittelpunkt aller wirtschaftlichen Prozesse. Wirtschaften ist kein Selbstzweck, sondern eine "Veranstaltung" um der Menschen willen. Diese Forderung ist nicht neu. Sie hat ihren Niederschlag ebenso in den Sozialenzykliken der Päpste seit
1891 gefunden wie in der humanistischen Tradition. Sie reicht zurück bis in die Urzeiten der biblischen Botschaft des Gottes, der für den Menschen, für die Armen und Ausgegrenzten eintritt. Wenn dies immer wieder angemahnt werden musste, deutet dies darauf hin, dass die Realität eine andere war.
Und so auch heute: Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Handelns, sondern die gnadenlosen Profitinteressen weniger. Nicht der Befriedigung der Grundbedürfnisse und der Lebensrechte aller wird der Vorrang eingeräumt, sondern der "Absatzfähigkeit" von Waren und Dienstleistungen am Markt, die bezahlt werden können, von denjenigen, die über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen. Nicht das "menschliche Maß" regiert, sondern eine Ausbeutungslogik, die uns mittlerweile übermenschliche Kräfte abverlangt, um noch irgendwie mithalten zu können.
Arbeit hat Vorrang vor dem Kapital
Die Folgen verdrängen wir weitgehend. Gutes Wirtschaften heißt: Wir müssen menschliche Maßstäbe anlegen und das Unterscheiden wieder lernen. Die Soziallehre der Kirche wiederholt immer wieder die Aussage: Arbeit hat Vorrang vor dem Kapital. Denn: Arbeit ist unmittelbar mit dem Menschen verbunden, Kapital ist "Sachmittel" zur Zweckerfüllung. Gutes Wirtschaften nach menschlichem Maß hätte ganz konkrete Folgen, etwa für die Arbeitsprozesse in den Betrieben und Wirtschaftsabläufe und -planungen in den Unternehmen. Bei einer guten Form des Wirtschaftens ständen die Humanisierung der Arbeitswelt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Gleichwertigkeit aller Formen der menschlichen Arbeit und deren faire Verteilung zwischen Frauen und Männern sowie der schonende Umgang mit der Natur an erster Stelle. Das Ziel wirtschaftlichen Handelns wäre die Erfüllung sozialer Aufgaben.
„Menschliches Maß“ ist nicht systembestimmend
Nun wird man zu Recht einwenden, dass doch in den letzten Jahrzehnten in den benannten Bereichen erhebliche Fortschritte erzielt worden sind, etwa bei der Humanisierung der Erwerbsarbeit. Das ist richtig. Das Entscheidende ist aber: Sie sind nicht systembestimmend geworden! Wir wirtschaften nicht nach menschlichem Maß, sondern nach den unmenschlichen und höchst gefährlichen "Ränkespielen" des Finanzkapitalismus, dem sich heute alles unterzuordnen hat. Unsere Systemlogik ist nicht menschlich, sondern durch die profitable Verwertung der "Sachmittel" bestimmt. Was abfällt, sind je nach Wirtschaftslage und Machtverhältnissen dann auch Humanisierungsmaßnahmen in der einen oder anderen Form, für die eine oder andere Bevölkerungsgruppe.
Gut wirtschaften heißt demgegenüber: Dieses System "umzudrehen", vom Kopf auf die Füße zu stellen. Gut wirtschaften heißt: Eine Wirtschaft, die tötet, zu ersetzen durch eine Wirtschaft, die die Sorge um den Menschen und soziale Ziele in den Mittelpunkt stellt und systembestimmend macht. […]
Dr. Michael Schäfers
Quelle: Gut wirtschaften. Nachhaltig leben und arbeiten.
Ein Arbeits- und Lesebuch der KAB. 2015.