Mein Zweifel hält meinen Glauben groß

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Ein widersprüchlicher Satz. Er steht in der Bibel, und ich kann ihn gut unterschreiben. Genau diese Erfahrung mache ich auch. Ich glaube, habe aber auch meine Zweifel.

ICH GLAUBE, ABER ICH HABE AUCH ZWEIFEL_Foto: Peter Weidemann / pfarrbriefservice
ICH GLAUBE, ABER ICH HABE AUCH ZWEIFEL_Foto: Peter Weidemann / pfarrbriefservice

Ich kann glauben, und dafür bin ich dankbar. Ich glaube vor allem, dass Gott hinter jedem Menschen steht. Immer wieder in meiner Arbeit als Theologe treffe ich auf Menschen, die für sich selbst bedauern, nicht glauben zu können.

 

Ich habe auch meine Zweifel, auch wenn der Zweifel keinen guten Ruf in der Kirche genießt. Da wird Unglaube vermutet, zumindest keine Treue zur jeweils eigenen Kirche. Doch der Zweifel und der Unglaube genießen diesen schlechten Ruf zu Unrecht. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24), stammelt im Markus-Evangelium der Vater eines besessenen Jungen. Er fleht Jesus an und fordert ihn vehement auf, seinen kranken Sohn gefälligst zu heilen. Glaube und Unglaube gehören so zusammen. Sie bedingen sich gegenseitig. Glaube ohne Zweifel wird zur Gewissheit, und Zweifel ohne Glauben tatsächlich zum Unglauben.

 

Glaube und Zweifel gehören zusammen. Das erfahren die Emmaus-Jünger in einer paradoxen Situation. Sie waren am Auferstehungstag unterwegs von Jerusalem nach Emmaus. Sie sprachen über die furchtbaren Ereignisse der letzten Tage. Jesus gesellte sich zu ihnen, und sie erkannten ihn nicht. Sie hatten gehofft, dass er einmal Israel erlösen werde. Sie hatten auf diesen Jesus gesetzt, sind enttäuscht, voller Zweifel, was sie noch glauben können. Jesus erklärt ihnen, warum das alles geschehen musste, doch sie waren weiter wie mit Blindheit geschlagen.  Die beiden Jünger erkannten Jesus erst, als er das Brot brach und ihnen davon gab. Und dann sahen sie ihn nicht mehr. Warum ist die Szenerie paradox? Als sie Jesus suchten, als sie Zweifel hegten an allem, was in den vergangenen Tagen in Jerusalem geschehen war – da war Jesus bei ihnen. Als sie ihn ihm Brotbrechen sicher erkennen konnten, da war er weg. Ihr Zweifel ging ihrer Erkenntnis voraus. Ihr Zweifel gehört zum Glauben dazu.

Der Apostel Thomas will Beweise

Für diesen Zweifel gibt es in der Bibel einen weiteren Zeugen: den Apostel Thomas. Er genießt keinen guten Ruf, eben weil er Zweifel an der Auferstehung hegt. Und diesen Zweifel auch äußert. Er kann nicht einfach nur glauben. Er will Beweise, will seine Hand in die Wunde des Auferstandenen legen. Weil er zweifelt, sucht er den Auferstandenen, und deshalb ist sein Zweifel legitim.

Im Freiburger Münster findet sich dazu ein anschaulicher Beweis. Vorne in der Kirche gibt es Statuen an den Säulen. Sie stellen die Apostel dar. Der Jesusfigur am Nächsten stehen nicht die Stars, nicht die großen Apostel, nicht Petrus und Johannes oder Jakobus und wie sie alle heißen mögen. Jesus am Nächsten steht eben dieser Thomas, der Zweifler, der sogenannte Ungläubige, wie er von den Frommen so oft geschmäht wurde. Thomas gehört dazu – der Künstler und sein Auftraggeber am Freiburger Münster wussten wohl, warum.

 

Ein Loblied auf den Zweifel

Es ist Zeit für ein Loblied auf den Zweifel. Jeder Mensch darf zu diesem Lied eigene Strophen texten. So auch ich. Ich glaube nicht, dass Gott es will, dass Unschuldige ermordet werden. Ich erkenne keinen Sinn im frühen Tod eines jungen Menschen. Ich habe meine Zweifel, wenn Menschen heute hungern müssen. Mein so sicher geglaubter Glaube wird immer wieder angezweifelt. Warum das alles? Musste diese oder jene Katastrophe nicht von Gott verhindert werden? Warum greift er nicht beherzt ein, wenn Menschen morden? Muss das so sein? Weil ich keine Antwort habe, trage ich das Leid und den Zweifel anderer Menschen mit, trage das alles vor Gott. Halte so den Zweifel, den Unglauben mit aus. „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ – das gilt auch für mich.

Glaube und Zweifel gehören zusammen. Mein Glaube ist groß. Und mein Zweifel? Der hält meinen Glauben groß. 

Uwe Beck

Katholische Hörfunkarbeit für Deutschland­radio und Deutsche Welle, Bonn, 

katholische-hörfunkarbeit.de